Sonntag, 29. März 2020

Das Schermützel hat Zahnschmerzen


Au Backe! - Das Schermützel hat Zahnschmerzen!


 „Guten Morgen, Freunde! Naaaaa, gibts ein Wasserlinsenmüsli für eine hungrige Qualle?“ Fröhlich tentakelt Günter Qualle zum Küchenfenster der Seegrashütte hinein, stellt seine Märkisch Bouzouki an die Wand und flutscht an den Küchentisch. „N´ Morgen!“, „Tag!“, „Hallo!“, kommt es im leise entgegen.
Nanu, was ist denn hier los? Goldi, der kleine Goldfisch, und Perle, die kleine Seemuschel, gucken traurig vor sich hin. Schere und Schuppe haben Sorgenfalten auf der Stirn. Die Teetassen stehen dampfend auf dem Tisch, aber niemand trinkt.
„Wo ist Scherry?“ Das Schermützel sitzt noch gar nicht am Frühstückstisch. „Er liegt noch im Bett!“, flüstert Perle. „Ja und es geht ihm gar nicht gut!“ Goldi dreht eine traurige Goldfischrunde in ihrem Glas. Dabei bewegt sie sich so langsam, als hätte jemand die Zeit angehalten. „Hey Leute, dann geh ich jetzt das alte Ungeheuer mal aufwecken“, sagt Günter Qualle, schnappt sich die Märkisch Bouzouki und gleitet  in das Schlafzimmer des Schermützels. Vor dem Bett baut er sich auf: „Bruder Scherry, Bruder Scherry, schläfst du noch, schläfst du noch, hörst du nicht…“, schmettert er in vollen Tönen laut in den Raum, aber……… „RUHE!“, brüllt es ihm da entgegen, „geh raus und sei still! Das kann ja kein Ungeheuer ertragen!“
„Aber Scherry, ich bins doch, dein lieber Günti, deine alte Qualle, was ist los? Geht’s dir nicht gut?“ So unfreundlich hat Günter Qualle seinen Freund Scherry noch nie erlebt. Da stimmt doch etwas nicht! Wer so schlecht gelaunt ist, der hat ein Problem!
Das Schermützel setzt sich auf im Bett.
„Au weia, Scherry, wie siehst du denn aus?“ Das Gesicht des Schermützels ist ganz verzerrt. Seine linke Wange ist dick geschwollen.
„Hast du einen Tennisball im Mund?“,  fragt Günter Qualle, aber die Frage tut ihm gleich wieder leid.
„Ich habe solche Zahnschmerzen!“, wimmert Scherry, „schon die ganze Nacht und es wird einfach nicht besser!“.
„Der kalte Algenwickel hat auch nicht geholfen!“ Schuppe kommt  ins Schlafzimmer geflosselt. Scherry wimmert leise vor sich hin.
„Ich habe versucht, Scherry ein wenig abzulenken. Die Geschichte von Rotkäppchen  und dem bösen Wolf hat ihm nicht gefallen!“
Perles Stimme wird immer leiser. „Als Rotkäppchen den Wolf fragt: Warum hast du so lange Zähne, da hat…“, weiter kommt Perle gar nicht. „Aua, aua, au!“, jammert Scherry und eine Träne rollt ihm über die dicke Wange.
„Ich hab ihm angeboten, den Zahn zu ziehen!“, sagt Schere, der inzwischen auch vor Scherrys Bett steht. „O nein, o nein, o nein!“, hört man es aus Scherrys Bett leise wispern, denn das Schermützel hat sich die Decke über den Kopf gezogen.
„Einfach Mund auf, Zange rein, zack!- raus mit dem blöden Zahn und gut ist es!“ Schere steht entschlossen vor dem Bett und klappert mit seinen Scheren. Die Freunde nehmen vorsichtshalber etwas Abstand.
„Aber das wollte er wohl nicht!“, stellt Günter Qualle fest und die Freunde nicken.
„Freunde, da hilft nur eins!“ Günter Qualle ist entschlossen: „Scherry muss zum Zahnarzt und zwar sofort!“ „Aber wie denn?“ „Der Zahnarztstuhl ist doch viel zu klein!“ „Da hat er doch viel zu viel Angst!“ „Stell dir das bloß alles nicht so einfach vor!“
Die Freunde sprechen alle durcheinander. Scherry hat sich inzwischen im Bett aufgerichtet und schaut verzweifelt aus. „Los, altes Ungeheuer, das braucht jetzt ein bisschen Überwindung, aber wir schaffen das!“
Beherzt zieht Günter Qualle seinem Freund die Decke weg. „Zieh dich an, wir gehen zusammen zum Zahnarzt!“ Benommen setzt sich das Schermützel auf, greift sich den Rucksack, wuschelt einmal durch die Haare. „Ja, gehen wir alle zusammen!“, beschließt Goldi und als Scherry sie fragend anschaut, blubbert sie: „Einsteigen bitte!“. Perle und Günter Qualle schlüpfen in ihr Glas, Schere krabbelt in Scherrys Rucksack. „Ich warte hier auf euch, machts gut!“, nickt Schuppe den Freunden zu, „und nur Mut, Scherry!“
Das Schermützel ist ganz hellgrün vor lauter Zahnschmerzen, nur die dicke rote Wange leuchtet in seinem blassen Gesicht. Langsam schwimmt er zum Ufer des Sees, geht an Land und schleicht sich durch die Straßen. Je näher es dem Haus des Zahnarztes kommt, desto kleiner wird es. „Hab keine Angst, Scherry!“, flüstert Goldie, „Der Doktor wird dir schon helfen!“.
Als das Schermützel vor der Zahnarztpraxis steht, ist es nur noch so groß wie ein normaler Mann.
„Oje, Sie Armer!“, sagt die Arzthelferin am Tresen, als das Schermützel die Praxis betritt. „Ich sehe schon: Ihre Wange ist ja ganz geschwollen! Bestimmt haben Sie starke Zahnschmerzen!“ „Jaaahaaa!“, wimmert das Schermützel und weil die nette Arzthelferin so freundlich ist, rollen gleich noch ein paar Tränen.
„Und Ihre Freunde haben Sie auch dabei? Das ist aber nett! Dann setzen Sie sich bitte kurz ins Wartezimmer, der Doktor ruft Sie gleich herein!“
Ängstlich setzt sich das Schermützel auf einen Stuhl. Als es das Pfeifen eines Bohrers aus dem Nebenzimmer hört, steht es auf und geht zur Tür. „Hinsetzen Scherry!“, Was soll der Quatsch!“,du wirst doch jetzt nicht aufgeben?“,der Doktor wird dir helfen!“, „denk dran: Seeungeheuer, die lieben Abenteuer!“, ruft es da aus dem Glas und aus dem Rucksack.
„Gehen Sie ruhig wieder zurück ins Wartezimmer!“, sagt da die freundliche Arzthelferin am Tresen. Sie kennt das schon.  „Viele Menschen haben Angst vor dem Zahnarzt. Aber es wird schon nicht so schlimm werden!“
„Der Nächste bitte!“, ruft es da aus dem Sprechzimmer. „Los Scherry, geh!“, flüstert Günter Qualle und „wir sind bei dir!“, wispert Schere Scherry ins Ohr. „Einer für alle, alle für einen!“, bemerkt Perle noch. Dann schleicht das Schermützel ins Sprechzimmer des Zahnarztes. „Bitte nehmen Sie doch Platz!“, sagt der Doktor uns weist auf den Zahnarztstuhl. Vor lauter Angst ist das Schermützel jetzt nur noch einen Meter groß.
„Ihre Freunde können Sie hier abstellen!“, sagt der Zahnarzt lächelnd. Das Schermützel klettert auf den Zahnarztstuhl, nachdem es Glas und Rucksack auf einen Hocker  gestellt hat. „Sie haben also Zahnschmerzen, richtig?“, fragt der Zahnarzt und als das Schermützel nickt, sagt er: „Dann machen Sie bitte den Mund auf!“ „Nein!“, sagt da das Schermützel, beißt die Zähne fest zusammen, verschränkt die Arme vor der Brust und guckt dem Doktor fest entschlossen ins verblüffte Gesicht. „Aber Scherry!“ „Du musst jetzt das machen, was der Doktor sagt!“ „ Nur Mut!“ „Nicht drüber nachdenken, einfach Mund aufmachen!“, ruft es jetzt aus dem Glas und dem Rucksack. „Guck mal, so: Aaaaaa!“ Alle Freunde reißen Mäuler, Münder und Schalen auf. Das sieht so komisch aus, dass das Schermützel lachen muss und wieder ein wenig Mut fasst. „Ich singe dir ein schönes Zähnelied zum Beruhigen!“, ruft Günter Qualle: „Jaaaa das Haiiiiifisch, der hat Zääääähne….!“, hört man es aus dem Glas summen. So etwas hat der Zahnarzt noch nie erlebt! Das Schermützel entspannt sich bei den ersten Tönen. „Wenn Goldi mir jetzt noch eine schöne Geschichte zum Beruhigen erzählen dürfte….?“ Das Schermützel schaut den Doktor ängstlich an.
„Sehr gerne! Alles, was meine Patienten beruhigt, ist mir Brecht, ääääääääh, ich meine  recht!“, sagt er dann. Während Günter Qualle im Hintergrund leise das Haifischlied summt, hört man Goldi erzählen:
„Es war einmal ein sehr alter und sehr weiser Goldfisch. Eines Tages kam ein ganz kleines Schermützel in sein Glas zu Besuch. „Guten Tag Opa Goldfisch, kannst du mir helfen? Es geht um das alte Wrack, was dort auf dem Grund des großen Sees liegt, manche sagen, es soll dort Seegeister……“
Goldi erzählt eine spannende Abenteuergeschichte. Der Zahnarzt bindet sich den Mundschutz um und zieht die OP Handschuhe an. Dann schaut er sich den kranken Zahn an. Vorsichtig untersucht er mit Spiegel und Sonde. Das Schermützel hält ganz still, denn es will ja die Geschichte hören. „Hmmm!“, sagt der Zahnarzt, „das können wir beheben. Es ist der Backenzahn links unten!“ Dann dreht er sich um und bereitet etwas vor. „Es wird jetzt etwas pieksen, aber danach werden Sie nichts mehr spüren. Mit der Spritze werde ich jetzt den Nerv betäuben!“ Ehe das Schermützel noch Angst haben kann, piekst es etwas und die Spritze wirkt sofort. „Das fühlt sich jetzt so an, als hätten Sie eine gaaaaanz dicke Backe, aber das täuscht!“, sagt der Doktor.
„Die Backe ist nicht dicker als vorher. Sie werden jetzt von der Behandlung gar nichts mehr spüren, stimmt´s?“ Und tatsächlich! Als der Zahnarzt nun den Bohrer in die Hand nimmt und die Behandlung beginnt, ist der Zahn betäubt und das Schermützel kann seelenruhig Goldis spannende Geisterschiffgeschichte verfolgen.
„So, fertig!“, sagt der Zahnarzt nach einer Weile. „Die Geschichte müssen Sie zuhause zu Ende erzählen, Frau Goldi, denn auf mich wartet der nächste Patient! Bitte 2 Stunden nichts essen und trinken und immer schön die Zähne putzen, Herr Schermützel, auf Wiedersehen!“ „Auf Wiedersehen, Herr Doktor!“, sagt das Schermützel, hopst fröhlich vom Zahnarztstuhl  und weil es so erleichtert ist, beginnt es bereits wieder zu wachsen.
„Schnell, schnell!“, ruft Schere, „wenn du zu groß wirst, dann passt du nicht mehr durch die Tür. „Auf Wiedersehen!“, ruft die  Arzthelferin lächelnd den Freunden nach, „und kommen Sie bitte regelmäßig zur Kontrolle, bitte alle halbe Jahre!“
„Auf Wiedersehen, ja machen wir!“, ruft das Schermützel. Es muss sich etwas ducken, um durch die Tür nach draußen zu kommen. Vorsichtig schleicht es Richtung Seeufer. Bei Frau Kellner am Zeitungsladen bleibt es kurz stehen. „Wollen wir noch eine Märkische Unterwasserzeitung mitnehmen?“, fragt das Schermützel die Freunde. „Nein, lieber ein paar Flaschenpostkarten!“, sagt Perle.
„Dann können wir allen Freunden von deinem Zahnarztabenteuer erzählen!“ Das Schermützel muss schmunzeln und nun ist seine Wange auch schon gar nicht mehr so dick. „Der Zahnarzt ist sehr nett!“, sagt Günter Qualle. „Und die Arzthelferin auch!“ Perle lächelt. „Also wenn meine Perle mal ein Loch haben sollte, ich würde zu ihm gehen!“. „Und wenn mir einmal ein Zacken aus der Schere brechen sollte, ich sage nur: Zahnarzt!“ Schere deutet auf das Haus des Doktors. „Was schreiben wir denn auf die Flaschenpostkarten?“, fragt Schere. „Wie wärs damit?“, Günter Qualle hat inzwischen ein Zahnarztlied komponiert und singt laut:

„Erst tat der Zahn weh, ganz, ganz schlimm!
Dann gingen wir zum Zahnart hin.
Der schaut sichs an, fühlt auf den Zahn,
spritzt, bohrt, behandelt –  fertig dann!
Nun ist die Wange wieder glatt
weil Scherry eine Plombe hat!“  ….

„Was darf´s sein?“, fragt Frau Kellner im Zeitungsladen den großen, grünen Mann mit dem Goldfischglas und dem blauen Rucksack.
„Ich hätte gerne 10 Schermützelpostkarten!“ „Brauchen Sie auch Briefmarken dazu?“ Frau Kellner ist dieses merkwürdige Wesen etwas unheimlich.
„Nein danke, aber haben sie vielleicht 10 leere Flaschen?“ fragt Perle aus dem Goldfischglas. „Am besten mit Korken!“, ergänzt Goldi.
„Vielleicht auch mit Etikett !“ Günter Qualle denkt praktisch
„Für den Absender nämlich!“
„Ja und noch einen wasserfesten Stift!“, ergänzt Schere, „denn unter Wasser verschmiert ja ein normaler Filzer so leicht!“

Ob ich heute Morgen aus Versehen etwas Rum in meinen Tee gegossen habe?“, Frau Kellner  traut ihren Ohren nicht.
„Ach, belassen wir es bei den Karten!“, sagt da das Schermützel, „die Flaschen besorgen wir uns aus den Buckower Köstlichkeiten, Freunde“.
Das Schermützel bezahlt, nimmt die Postkarten und schließt die Ladentür.

„Ich glaube, ich werde langsam alt!“,  sagt Frau Kellner am Abend zu ihrem Mann. „
Stell dir vor, heute war mir so, als hätte ein großes, grünes Wesen mit einem blauen Rucksack und einem Goldfischglas unter dem Arm meinen Laden betreten“.
Herr Kellner guckt seine Frau besorgt an. „Und was wollte es?“, fragt er. „Flaschenpostkarten!“, sagt Frau Kellner.
„Das ist ja ungeheuerlich!“
„Du sagst es!“






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